"Eine Marke ist das Bauchgefühl einer Person"
Marken sind Geschichten. Geschichten verändern Marken. Und nicht immer schaffen Unternehmen eine nachvollziehbare Erzählung und Festigung ihrer Marke durch ihr Content Marketing. Entweder schiebt sich die Marke bis zur Unkenntlichkeit vor die Story oder die Story überdeckt die Marke. Die Markenberaterin Sabine Friesser und AustriaContent starten mit den "Narrative Provocateurs" ein Beratungsprojekt, das an der Schnittstelle von Marke und Content ansetzt und sowohl Brand & Content-Strategy in Workshops abbildet, wie auch Ghostwriting für das C-Level in einen strategischen Rahmen setzt.
Wie das geht und was Sabine Friesser und AustriaContent-Geschäftsführer Martin Schwarz mit "Narrative Provocateurs" erreichen möchten, erzählen sie im Interview.
Sabine und Martin, ihr habt euer Projekt Narrative Provocateurs gelauncht. Welches Narrativ möchtet ihr denn provozieren, was möchtet ihr für eure Kund:innen damit erreichen?
Sabine Friesser: Mehr Content ist nicht die Lösung. Anderer, interessanterer, provokanterer Content hingegen lenkt Aufmerksamkeit und regt zum Nachdenken an. Und wenn ich als Kundin erstmal nachdenke, bin ich emotional und mental involviert und das ist der erste Schritt zum Vertrauensaufbau.
Martin Schwarz: Wir sind nicht zuletzt wegen der vielen verfügbaren KI-Technologien mit einer Flut an Inhalten konfrontiert. Inhalte, das steht zu befürchten, werden Commodity und tragen oft nicht mehr zur Positionierung eines Unternehmens bei, sondern bloß zu vermeintlicher Sichtbarkeit. Sichtbarkeit alleine aber kann nicht ausschließliches Kommunikationsziel sein. Wir wollen mit unseren Services vor allem erreichen, dass Inhalte sich konsequent an die Marken-Narrative halten und die Marke schon bei der Konstruktion der Content-Strategie durchleuchtet. Es ist, wenn man so will, eine Rückbesinnung.
“Content zahlt auf die Marken-Wahrnehmunng ein”
Ihr wollt mit Narrative Provocateurs an der Schnittstelle zwischen Content und Branding wirken. Warum ist das eurer Ansicht nach so wichtig für B2B-Unternehmen? Was genau spielt sich an dieser Schnittstelle ab und wie beeinflusst das, was dort passiert, dann später etwa das Content Marketing?
Sabine Friesser: In der Markenstrategie legen wir fest, wie wir uns vom Wettbewerb abheben und wie wir mit Marktbedingungen vorteilhaft umgehen. Ein differenzierter – manchmal sogar disruptiver – Auftritt ist hier entscheidend. Und der muss auch im Content spürbar sein.
Martin Schwarz: Wir erleben in unserem Agentur-Alltag manchmal, dass über der sehr ambitionierten Produktion von Inhalten übersehen wird, dass jedes Content-Stück nicht nur auf ein Kommunikationsziel einzahlen sollte, sondern oft eben auch auf die Wahrnehmung der Marke. Das gilt für LinkedIn-Postings des C-Levels genau wie für Blogbeiträge. Gerade im B2B-Bereich ist dieser Gedanke wichtig.
“Ich mag das, was ich tue, richtig richtig gerne”
Ihr habt für viele B2B- und B2C-Unternehmen und C-Level-Kund:innen gearbeitet. Erzählt Ihr uns mehr über euren Hintergrund?
Martin Schwarz: Ich habe lang bei B2B-Verlagen gearbeitet und war zuletzt für das Digitalgeschäft eines Verlags und dessen Content Marketing-Services verantwortlich. 2021 haben mein Co-Gründer Christoph Moss und ich dann AustriaContent gestartet mit einem klaren Fokus auf das B2B Content Marketing. Seitdem habe ich jeden Tag das Privileg, Ideen zu erklären und aus Ideen konsistente Strategien zu machen und die umzusetzen. Das mit dem Privileg meine ich auch wirklich so: zu beobachten, wie aus einem kurzen Moment der Inspiration ein ganzes Content-System wird, zu sehen, wie Inhalte genutzt werden, das macht alles große Freude. Und das, was ich tue, ist von bestimmten Werten, von Überzeugungen getragen - einige davon durfte ich im letzten Jahr in “30 Minuten Content-Strategie” (Gabal Verlag) gemeinsam mit Christoph Moss, der auch Co-Gründer von AustriaContent ist, darlegen.
Mit Narrative Provocateurs wollen wir nun unser Portfolio Richtung Marke erweitern - und ich könnte mir niemand Geeigneteren vorstellen, das Thema voranzutreiben, als Sabine. Wir kennen einander nun schon seit fünf Jahren und bei jedem Gespräch in dieser Zeit hab ich mir gedacht: sie ist eine großartige Strategin, die genau dort ansetzt, wo wir auch arbeiten: an den gedanklichen Komplementärflächen zwischen Marke, Content und Personal Branding. Ich freu mich sehr, dass jetzt mit unserem Projekt die Chance besteht, mit ihr zusammenzuarbeiten.
Sabine Friesser: In den letzten 14 Jahren hatte ich Positionen als Head of Brand/CBO-Äquivalent in globalen B2B-Unternehmen inne. Darüber hinaus hatte ich das Glück, mit über 100 Unternehmen verschiedener Branchen und Größen zusammenzuarbeiten und deren Strategien und Marken zu entwickeln. Ich habe Markenportfolios in Milliardenhöhe verwaltet und Strategien entwickelt, die Branchen verändert haben. Zudem unterrichte ich in Master- und MBA-Programmen an mehreren internationalen Universitäten.
Ich mag das, was ich tue, richtig, richtig gerne. Und wenn ich Projekte mit großartigen Menschen wie Martin angehen kann, dann freue ich mich jeden Morgen aufs Starten und arbeite jeden Abend ein bisschen länger, weil Wellenlänge, Spaß und Qualität des Outputs einfach stimmen.
"Branding ist so viel mehr als visuelle Elemente"
Branding ist für manche Unternehmen ein Style Guide und die korrekte Verwendung des Logos. Aber wie kann Branding das Storytelling beeinflussen und was sollte Branding denn noch sein?
Sabine Friesser: Eine Marke ist das Bauchgefühl einer Person, wenn sie an ein Produkt, ein Unternehmen oder eine Dienstleistung denkt. Branding ist, wie ein Unternehmen versucht, dieses Bauchgefühl zu beeinflussen. Wenn man das im Hinterkopf hat, wird klar, dass Branding so viel mehr ist, als nur visuelle Elemente: Es geht um das Lenken von Menschen in all ihren Sinnen und all ihren Gedanken. Und es geht um das Abgrenzen der eigenen Marke vom Wettbewerb, damit ich zur ersten Wahl meiner Zielgruppe werde. Storytelling ist eine clevere Möglichkeit, diese Ziele zu erreichen.
Martin Schwarz: Es ist, wie Sabine sagt: Branding ist ein lebendiger Organismus. Man kann es beeinflussen und man muss es auch je nach unterschiedlichen Marktbedingungen neu ausrichten. Branding ist auch abhängig von Werten und von einer ununterbrochenen Selbstreflexion. Am leichtesten sichtbar machen kann man diese Lebendigkeit dann eben durch Inhalte.
Es gibt auch recht eindeutige Studien zu dieser neuen Erwartungshaltung von Konsument:innen gegenüber Unternehmen, von denen Sabine spricht. Werte schaffen Wert - und Kund:innen sind heute eher bereit, Geld auszugeben, wenn sie von Unternehmen ein möglichst exaktes Bild des jeweiligen Werte-Kanons haben. Es gab mal eine Umfrage in den USA, die offengelegt hat, dass sieben von zehn CEOs Entscheidungen nach Bauchgefühl treffen. Auch diese emotionale Komponente müssen wir an der Schnittstelle von Branding und Content touchieren. Gerade in Zeiten von KI und der damit einhergehenden Content-Flut bleibt die Bedeutung von wertegestützten Inhalten vielleicht manchmal unterbelichtet. Das wollen wir ändern, indem wir für Unternehmen jene Content-Säulen definieren, die eine Marke tragen können.
“Markenführung ist die Aufgabe jedes Mitarbeitenden”
Ein ganz zentraler Punkt eures Angebots ist der Dialog mit dem C-Level von Unternehmen. Wo seht ihr die Verantwortung des C-Levels für Marken- und Contentführung?
Martin Schwarz: Das C-Level hat eine besondere Verantwortung, denn was das C-Level tut, wirkt mindestens so stark nach innen, wie es nach außen wirkt. Ich bin überzeugt davon: wenn es zwischen Innen - und Außenwirkung eine zu große Diskrepanz gibt, leidet langfristig die Marke. Wir sind also mit einem durchaus komplexen Geflecht der Abhängigkeiten konfrontiert: wie der CEO die Marke nach außen repräsentiert, wie er sie nach innen repräsentiert und ob und wie er sie prägt oder sie ihn. Da ein einheitliches und dabei gleichzeitig authentisches Bild zu konstruieren, ist einigermaßen schwierig.
Sabine Friesser: Markenführung ist die Aufgabe jedes und jeder Mitarbeitenden eines Unternehmens, denn jeder Kontaktpunkt beeinflusst das Bauchgefühl der Kunden. In diesem Sinne muss es über alle Hierarchiestufen und Abteilungen ein Markenverständnis geben und der beste Ansatz, dieses Bewusstsein zu etablieren, ist es, wenn es die C-Suite aktiv fördert und involviert ist. Steve Jobs mag den Titel CEO gehabt haben, er hat aber sehr gut verstanden, dass er die beste Wirkung als CBO - Chief Branding Officer - entfaltet, indem er alle Bereiche von Apple kundenorientiert ausrichtet.
“Mitarbeitende fühlen sich zu Likes verpflichtet”
Speaking of Steve Jobs, auf eurer Website steht der schöne Satz „Nobody needs another smartass thinking he’s Steve Jobs“. Wenn man durch LinkedIn surft, findet man Dutzende Videoclips des Apple-Gründers mit seinen Management-Geboten und jede und jeder mit Eckbüro will ein bisschen so sein wie er. Warum braucht dann die Welt und das Marketing kein „smartass thinking he’s Steve Jobs“?
Sabine Friesser: Steve Jobs war eine unglaublich visionäre Persönlichkeit. Er hat seine Worte stets sehr reflektiert gewählt und seine Auftritte bis in die Sekunde durchdacht. Die Leichtigkeit seiner Statements ist das Resultat von hunderten Proben, Wiederholungen und Anpassungen. Diese Leichtigkeit verleitet Führungskräfte jedoch auch dazu, mal schnell nebenbei ähnlich charismatisch auftreten zu wollen – und das geht - wenn nicht professionell durchdacht und begleitet - gerne mal daneben. Mitarbeitende fühlen sich dann zu Likes verpflichtet und niemand äußert eine ehrliche Meinung über die Qualität und den Impact des Contents.
Und dann gibt es C-Level Führungskräfte, die das Formen ihres Images sehr geschickt angehen und in es professionelle Hände legen. Sie wissen, dass Investitionen in den Aufbau ihres Rufs direkte Auswirkungen auf den Erfolg des Unternehmens haben. Und sie holen sich Profis an ihre Seite, um nichts dem Zufall zu überlassen.
Manchmal steht bei Kampagnen schon sehr der „Quick Win“ im Fokus und die kalte Logik der durch Algorithmen geformten KPIs. Wie wirkt sich das auf die Geschichten von Marken aus?
Martin Schwarz: Wenn man sich dieser kalten Logik des Algorithmus aussetzt, wird man eine Zeit lang wahrscheinlich Erfolg haben, aber man bleibt Beifahrer des eigenen Erfolgs. Wie schon gesagt: Brands brauchen eine behutsame Weiterentwicklung und diese Weiterentwicklung kann man nicht der Gnade der Algorithmen unterwerfen. Natürlich wird man nicht gegen die Algorithmen der großen Plattformen ankämpfen können, aber dabei sollte immer noch dieses immersive Erlebnis der Marke gewahrt bleiben und nicht zugunsten bloßer digitaler Gefälligkeit aufgegeben werden.
Sabine Friesser: Kluge Unternehmen ignorieren die "100.000 Follower in 30 Tagen"-Programme und "5 Schritte zur Markenstrategie"-Ratgeber, denn sie wissen, dass Erfolg durch kritisches Denken, Erfahrung und Arbeit entsteht. Man kann vielleicht einen Algorithmus austricksen oder eine Zeit lang auf einen Trend aufspringen, aber die Resonanz wird von kurzer Dauer sein. Wirklicher Erfolg entsteht durch eine Strategie, die das Unternehmen von der Konkurrenz abgrenzt und Marktbedingungen bestmöglich nutzt.
“Respekt ist essenziell”
Ihr befasst euch bei Narrative Provocateurs auch mit Thought Leadership Content. Auf unserer Website steht „In einer Welt, in der jede:r Thought Leader sein möchte, ist niemand mehr Thought Leader: es fehlen einfach die Menschen, die diesen Leadern folgen könnten, weil ja alle selbst leaden.“ Was braucht Thought Leadership heute?
Martin Schwarz: Worauf Entscheidungsträger:innen, das zeigt etwa das letztjährige Edelman Trust Barometer auch ganz deutlich, besonders viel Wert legen beim Entscheiden, ist die (menschliche) Quelle. 90 Prozent gaben an, dass es ihre Entscheidung in wohltuender Weise beeinflussen würde, wenn eine Empfehlung von jemandem kommt, den sie respektieren und kennen. Respekt ist das Schlüsselwort und Respekt reift mit konziser, nachvollziehbarer Kommunikation.
Sabine Friesser: Wie Martin sagt, Respekt der sprechenden Person gegenüber ist essentiell. Wir alle haben einige wenige Quellen, denen wir immer Aufmerksamkeit schenken werden. Andere ignorieren wir. Wenn Sie nur "Schau wie toll ich bin"-Inhalte posten, denen es an nützlichen Informationen mangelt, weigere ich mich, Ihnen meine Aufmerksamkeit zu schenken.
“Bewusster Stilbruch”
Marken wollen heute gerne kühn, provokant und laut sein. Wie viel Geräuschpegel braucht eine Marke, um gehört zu werden? Und gilt das auch für den B2B-Bereich?
Martin Schwarz: In meinem Bereich, dem B2B Content Marketing, da prallt die Idee von der Dauerbeschallung mit mehr oder wenig coolem Content auf eine wirtschaftliche schwierige Situation: Schon zum Jahreswechsel hat die PR-Agentur Edelman einen Report herausgebracht, der zeigt, wie die Erwartung einer Konjunkturflaute mit der Offenheit für Inhalte zusammenhängt. 64 Prozent der befragten C-Level-Manager:innen aus B2B-Unternehmen erwarten laut dieser Studie eine wirtschaftliche Delle und 44 Prozent gaben an, dass sie in wirtschaftlich schwierigen Zeiten weniger offen für Sales Calls und auch Marketing-Maßnahmen ihrer Lieferanten sind. Einfach nur Content „raushauen“ gehört jedenfalls in meiner Welt nicht so recht zu den Erfolgsrezepten.
Sabine Friesser: Wissenschaftliche Studien belegen, dass Marken, die als introvertiert und schüchtern wahrgenommen werden, schlechter abschneiden als solche, die als extrovertiert gelten. Forscher gehen sogar so weit zu sagen, dass Manager:innen introvertierte Persönlichkeitsmerkmale einer Marke reduzieren sollten, weil sie die Fähigkeit der Marke, eine dauerhafte Beziehung zu den Kunden aufzubauen, beeinträchtigen können.
Lauter ist also meist wirkungsvoller. Laut kann aber verschiedene Formen annehmen und muss nicht unbedingt auf den Geräuschpegel zielen. Eine disruptive Strategie, ein bewusster Stilbruch in visuellen Elementen oder bedienten Kanälen, clever eingesetzter Humor - es gibt so viele Möglichkeiten, positiv aufzufallen. Auch in B2B.
Interview: Bernhard Fragner
Erfahren Sie hier, was Narrative Provocateurs mit Ihrer Story tun kann.
Mehr über Sabine Friesser:
Sabine Friesser hat langjährige Erfahrung in der Führung globaler Unternehmen. Ihre disruptiven Marken- und Unternehmensstrategien haben Ikonen wie Johnson & Johnson, Dr. Oetker, Liquid Death, MillerKnoll und viele mehr beeinflusst.
Ausgebildet von Steve Jobs’ Markenberater Marty Neumeier, ist sie spezialisiert auf Markenstrategien für hochkompetitive Branchen. Sie ist Gastprofessorin für Branding und Marketing an EU-Universitäten, eine gefragte Rednerin zu Marke und Strategie und eine vertrauenswürdige Beraterin von internationalen Unternehmen.