Was kommt nach dem Sales Funnel?
Im Sales-Funnel rumort es. Vieles lässt vermuten, dass Purchase längst nicht mehr das Ende der Kundenbeziehung bedeutet – im Gegenteil. Kund:innen wünschen sich Unternehmen, denen sie langfristig und völlig unabhängig vom Produktkauf vertrauen können. Der Verdacht: Wer nicht offensiv kommuniziert, hat etwas zu verbergen. Wir haben fünf Thesen zusammengestellt, wie Sie sich in der neuen Skrupel-Ökonomie zurechtfinden.
Jetzt ist – vielleicht – schon wieder etwas kaputt. Muss die Idee der auf Sales Funnels aufgebauten Customer Journey verschrottet werden? Ganz so schlimm ist es nicht, aber vielleicht bietet der folgende Text Anlass, darüber nachzudenken, ob wir langsam manch Gewissheit über das Verhalten von Menschen bei ihrer Interaktion mit Marken hinterfragen sollten.
Wie Sie dem zu Beginn des Sommers erschienenen Report der PR-Agentur Edelman mit dem erfrischend dramatischen Titel „The Collapse of the Purchase Funnel“ entnehmen können, halten sich Konsument:innen leider nicht mehr völlig an das über Jahrzehnte immer wieder neu lackierte Konstrukt der Funnels, auf dem auch viele Content Marketing-Konzepte basieren.
Purchase, so die durch Statistik offenbar hinterlegte Erkenntnis, ist nicht mehr der Endpunkt der Kundenbeziehung. Und überhaupt sei das Funnel-Modell zu sehr auf Transaktion ausgelegt. Leider, so postulieren die Autor:innen aufmerksamkeitsheischend alarmierend, sei eben nicht mehr gewährleistet, dass Menschen sich bloß konsumwillig durch so einen Funnel tasten. Sie erwarten einfach mehr von Unternehmenskommunikation.
Nicht auf Linie
Zugegeben: das Modell der durch Stationen geformten Kundenreise kann zur Visualisierung durchaus nützlich sein. Es hilft einfach, Ankerpunkte zu setzen, um die grundlegende Idee des Content Marketings erklären zu können. Aber es ist eben eine sehr eingeschränkte Sichtweise, die Zielgruppen zu betrachten, als würden sie sich straßenbahngleich und völlig vorhersehbar an Fahrplan und Stationen halten. Das wurde in letzter Zeit auch immer offensichtlicher.
Schwierig an der Funnel-Idee ist ja, dass sie – sehr grob übersetzt – davon ausgeht, dass eine Beziehung eines oder einer Kundin mit einer Marke die höchste Intensität rund um den Kauf des jeweiligen Produkts erreicht. Aus Unternehmensperspektive mag sich erfolgreiche Kundenbindung vor allem auf dem Konto manifestieren, doch für Konsument:innen tut es das selbstverständlich nicht.
Markenloyalität beginnt nach dem Kauf
78 Prozent der von Edelman befragten Konsument:innen gaben an, dass sie erst nach dem ersten Kauf Dinge entdeckten, die ihre Loyalität zur jeweiligen Marke erhöhten. Egal, ob Sie Schokoriegel für 99 Cent oder Software-Systeme für ein paar Millionen Euro verkaufen – um die Frage der transaktionslosen Markenloyalität werden Sie im Content Marketing nicht mehr herumkommen.
In unserem kürzlich erschienenen Buch „30 Minuten Content-Strategie“ haben wir das mal so formuliert: „Content-Strategien flattern in der Vorstellung mancher einer Fahne gleich zwischen bloß vertriebsunterstützender Maßnahme und schöngeistiger Orchideendisziplin. Dabei kann Content Marketing gerade seine vertriebsunterstützende Funktion umso schlechter erfüllen, je vertriebsunterstützender sie nach außen erscheint“.
Die Sehnsucht nach Vertrauen
Doch sehen wir uns doch auch die anderen Erkenntnisse der Edelman-Umfrage an: Für 71 Prozent der Befragten ist es heute wichtiger, Marken vertrauen zu können, als es in der Vergangenheit war. Und zu diesem Vertrauen gehört auch die Kommunikation von Werten: 64 Prozent der 18- bis 42-Jährigen und 60 Prozent der 43- bis 58-Jährigen wünschten sich von Unternehmen, ihre jeweiligen Werte offensiver zu kommunizieren. Und wenn sie das nicht tun, schwelt der Verdacht, das Unternehmen habe etwas zu verstecken.
Natürlich werden Sie jetzt einwenden: klar, die vermeintlichen 360 Grad-Bedenkenträger:innen von der Gen Z färben diese Ergebnisse entsprechend. Irrtum. Den größten Zuwachs bei denjenigen, die diesen Wunsch nach Wertekommunikation formulieren, gibt es bei der Gruppe der 43- bis 58-Jährigen.
Generationen-Influencer:innen
Allerdings sind es doch die jungen Menschen, die Vorstellungen vom Kommunikationsverhalten einer Marke der älteren Konsument:innen prägen: 68 Prozent der 43- bis 58-Jährigen gaben an (oder zu), dass die Gen Z Einfluss auf ihre Kommunikationspräferenzen mit Marken habe.
Für Content Marketer:innen mögen die Ergebnisse der Umfrage vor allem eines bedeuten: Sie müssen lernen, durch die neue Ökonomie der Skrupel und Sorgen zu navigieren. Für 55 Prozent der Befragten sind etwa Fragen nach der Nachhaltigkeit wichtig, für 64 Prozent solche nach gesundheitlichen Aspekten eines Produkts.
Doch wie navigieren Marketingabteilungen am besten durch diese Skrupel-Ökonomie? Wir haben fünf Thesen dazu formuliert:
1. Content Marketing wird zum Gefäß für die gesamte Markenidentität
Es reicht sowieso schon lange nicht mehr, den Blick scheuklappenbewehrt bloß auf die eigenen unternehmerischen Entwicklungen und Produkte zu richten. Deshalb wird Content Marketing wichtiger und umfassender verstanden werden müssen – als Instrument nämlich, das die Erfahrungen und Erwartungen von Zielgruppen mit und an Marken und Unternehmen am ehesten authentisch abbilden kann.
2. Position verleiht Sicherheit
Ununterbrochen wird irgendwo im Web irgendwas gemeint. Unternehmen können in dem Meinungswettbewerb in den meisten Fällen schlecht mithalten und sie sollten es auch gar nicht versuchen. Doch im Kanon mit dem eigenen Produkt-Portfolio ein zentrales Set an Positionen herauszuarbeiten und dieses dann auch in die tägliche Content Marketing-Arbeit zu importieren, fördert scheinbar das Sicherheitsgefühl und das Vertrauen von Konsument:innen. Unternehmen werden belohnt, wenn sie in einer zunehmend komplexen Welt auch klare Antworten geben können – solange diese Antworten in einer nachvollziehbaren Beziehung zum eigentlichen Unternehmenszweck stehen. Anders formuliert: wenn Sie Wäscheklammern herstellen, müssen Sie definitiv nichts zur Blauwal-Population zu sagen haben.
3. Nach dem Kauf ist vor dem Dialog
Offenbar interessieren sich Menschen für Unternehmen verstärkt auch, nachdem sie bereits Kund:in geworden sind und wollen weiterhin interagieren, die Marke begleiten. „Anstatt einem linearen Weg zu folgen, der mit dem Kauf endet, ist der Kauf nur ein Teil eines fortlaufenden Kreislaufs“, schreiben die Kundenversteher:innen von Edelman. Besonders für B2B ist das eine ausgesprochen gute Nachricht. Doch was lässt sich mit der guten Nachricht anfangen? Nun, wahrscheinlich braucht es Inhalte, die außerhalb der bekannt festen Schemata stehen, die etwa durch Persona-Konstruktionen geprägt sind. Die Debatte um Kommunikationsziele, bisher einigermaßen vorhersehbar, wird wohl durch eine Dimension erweitert: Was könnten Kommunikationsziele bei Menschen sein, die sich auch nach der Investition in ein Produkt oder eine Dienstleistung mit unserer Marke auseinandersetzen und eventuell überrascht werden möchten?
4. Anlasslos attraktiv
Die Sache war bisher ja ziemlich offensichtlich: irgendwann, wenn man den oder die Kund:in charmant umschwärmt und becirct hat, landet er oder sie schon bei der freiwilligen Erkenntnis, dass Kauf und Auseinandersetzung mit dem Produkt ein Sehnsuchtsmoment ohne gleichen sein würde. Nun scheint aber einerseits der Wunsch nach Markenloyalität hoch, der nach inhaltsgeführter Transaktion umso niedriger zu sein scheint. Unternehmen tun sich schwer, damit umzugehen, haben Sorgen, die Markentreue würde abnehmen. Irgendwann einmal wird man diese Auseinanderentwicklung vielleicht als Loyalitätsparadoxon labeln. Geschenkt. Wie dem auch sei: Content Marketing wird damit umzugehen lernen müssen, dass rund um den Nukleus Produkt und Purchase nun wohl mehr Schichten an Inhalten gepackt werden müssen. Content Marketing wird dadurch komplexer, aber auch irgendwie kompletter.
5. Das Meinungserbe verstehen
Die Wertewelt der Gen Z mag vielen wie ein beinahe undurchdringliches Dickicht erscheinen, durchwoben von scheinbar widersprüchlichen Sehnsüchten nach Sicherheit, Freiheit, Work Life-Balance, Karriere, Selbstbehauptung und Solidarität. Vielleicht sind es auch gar nicht so viele Widersprüche.
Jedenfalls scheint die Wertewelt dieser jungen Generation in höherem Maße jene der älteren Generation zu beeinflussen, als man das bisher für möglich gehalten hätte – besonders hinsichtlich des gewünschten Verhaltens von Marken. Die ältere Generation erbt also ein Stück weit die Meinung der jüngeren Generation – und darauf gilt es auch im Content Marketing zu reagieren.
Wir werden uns vielleicht intensiver damit befassen müssen, an welchen Stellen es zu dieser generationenübergreifenden Meinungsmigration kommt und genau dort auch einige unserer Themengerüste aufstellen müssen. Und nein, das bedeutet nicht, dass die Hersteller von Fräsmaschinen nun zwangsläufig hippen Gen Z-Content raushauen müssen. Sowas ist ja meistens ein bisschen cringe.
Es ist, Sie merken es, alles sehr kompliziert. Oder vielleicht auch nicht. Die Customer Journey ist natürlich keinesfalls passé, sie ist aber keine gedankliche Pauschalreise mehr. Denn was wir aus all dem Zahlenwerk auch herauslesen können: es ist Zeit für Mut und Experimente im Content Marketing und für viel Kreativität. Und das ist doch eigentlich etwas Schönes.